Von Christel Rendu de Lint, Deputy Head of
Investment bei Vontobel: ____________________________________________________________________________ Der Autor stellt hier lediglich Informationen zur
Verfügung, es erfolgt keine Anlageberatung, Empfehlung oder
Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Vermögensanlagen.
Anlagegeschäfte beinhalten Risiken, so dass die Konsultierung
professioneller Anlagenberater empfohlen wird. Wir möchten in
diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass ein Engagement in
Aktien (auch Hot Stocks oder Penny Stocks), Zertifikate, Fonds
oder Optionsscheine zum Teil mit erheblichen Risiko verbunden. Ein
Totalverlust des eingesetzten Kapitals kann nicht ausgeschlossen
werden.
Wachstum und Inflation - gepaart mit einer schrittweise
erfolgenden geldpolitischen Straffung - dürften im Jahr 2022 eine
sanfte Landung hinlegen. Der Aufwärtstrend bei Aktien wird
wahrscheinlich anhalten, aber bei einer Verlangsamung des
Wachstums im Zuge des natürlichen Zyklus abflachen. Anleger
sollten jedoch auf einen Anstieg der Volatilität vorbereitet sein.
Nach den geldpolitischen Maßnahmen durch Staaten und Zentralbanken
während der Pandemie haben die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte
eine der spektakulärsten Phasen von Abschwung und anschließender
Erholung in der Geschichte erlebt. Wie bei jedem natürlichen
Zyklus verlangsamt sich das Wachstum nun wieder und wird sich
wahrscheinlich wieder seinem langfristigen Potenzial annähern.
Stagflationsängste sind unbegründet
Der rasche und ausgeprägte Inflationsanstieg hat sich als
notwendiges Übel dieses beschleunigten Zyklus erwiesen. Er hat
nicht nur die Erwartungen der meisten Marktteilnehmer, sondern
auch die der Zentralbanken übertroffen. Erschwert wurde diese
Situation durch beträchtliche Lieferkettenprobleme und einem
deutlichen Anstieg der Rohstoffpreise. Dieser wird mit einem
Ungleichgewicht zwischen Angebots- und Nachfragefaktoren in
Verbindung gebracht.
Mit nachlassendem Wachstum und einer allmählichen Lösung der
Lieferkettenprobleme dürfte die Inflation mittelfristig
zurückgehen und Zweitrundeneffekte wie Lohndruck unter Kontrolle
halten. In diesem Szenario dürfte es keine Auswirkungen auf das
Wachstum geben, da das Verbraucherverhalten sich nur ändern würde,
wenn die Inflation anhält. Daher sind die Befürchtungen des
Marktes bezüglich eines Stagflations-Szenarios wie in den 1970er
Jahren unbegründet. Wir werden zwar eine Phase mit Inflation über
ihrem langfristigen Niveau und einer Wachstumsabschwächung
erleben, aber die Löhne sind nicht länger an die Inflation
gekoppelt. Auch sind die Zentralbanken unabhängiger und
glaubwürdiger als damals.
Vertrauenswürdige Zentralbanken beruhigen den Markt
In der Tat werden die Zentralbanken durch eine kontrollierte und
umsichtige Vorgehensweise bei Anleihenkäufen und Zinssätzen eine
zentrale Rolle spielen, damit die Wirtschaft eine sanfte Landung
ohne ein abruptes Ende des Wachstums hinlegen kann. Für die
Zentralbanken wird es ein Drahtseilakt werden. Sie müssen die
Bedenken des Marktes hinsichtlich der Sorglosigkeit im
Zusammenhang mit der Inflation zerstreuen und gleichzeitig das
Wachstum fördern. Auch darf nicht vergessen werden, dass die
Zinsen wieder auf fast null gesunken sind. Dadurch bleibt den
Zentralbanken wenig Handlungsspielraum, wenn das Wachstum
einbrechen sollte – ganz zu schweigen von den überstrapazierten
Staatshaushalten in Folge der massiven Ausweitung der
fiskalpolitischen Maßnahmen im letzten Jahr.
Die US-amerikanische Notenbank Fed ist unter den Zentralbanken
wahrscheinlich am besten für diesen Balanceakt aufgestellt. Sie
verfügt über ein Doppelmandat, dass neben der Inflation auch das
Wachstum (bzw. die Beschäftigung) berücksichtigt. Andere
Zentralbanken fungieren dagegen als reine Währungshüter. In diesem
Kontext ist es besonders bemerkenswert, dass es den Zentralbanken
bislang gelungen ist, den Finanzmärkten nicht nur das Tapering,
sondern auch mögliche Zinsanhebungen fast ohne Schocks an den
Finanzmärkten und insbesondere bei Aktien zu vermitteln. Dies
steht in deutlichem Gegensatz zum schmerzhaften Taper Tantrum im
Jahr 2013: Obwohl Zinsanhebungen nicht konkret zur Debatte
standen, gerieten die Märkte seinerzeit aufgrund der bloßen
Möglichkeit von Zinsanpassungen ins Taumeln.
Aufwärtstrend bei Aktien bleibt bestehen
Trotz der Möglichkeit einer sanften Landung steht uns ein erhöhtes
Volatilitätsniveau bevor. Dieses wird sich im Laufe des nächsten
Jahres nachteilig auf risikoreiche Anlagen auswirken, da die
Entwicklung der Inflation und des Wachstums beträchtliche
Unsicherheiten beinhaltet. Die Zuversicht der Anleger könnte daher
auf die Probe gestellt werden. Darüber hinaus bleibt das Risiko
eines zwar unwahrscheinlichen, aber folgenschweren geldpolitischen
Fehlers der Zentralbanken bestehen, falls diese beim Thema
Inflation die Nerven verlieren. Aktien sollten diese
Volatilitätsschübe jedoch gut verkraften können und behalten ihren
positiven, wenn auch weniger steilen Aufwärtstrend bei. Der Grund
hierfür sind die in diesem Quartal veröffentlichten hervorragenden
Unternehmensergebnisse, die ein Zeichen für die Robustheit der
Unternehmensbilanzen in den Industrieländern sind. Im Vergleich
mit europäischen Aktien erschienen US-Aktien in der
Post-Peak-Phase aufgrund ihres höheren erwarteten
Ertragswachstums, ihrer geringeren Zyklizität und ihrer
historischer Outperformance besonders attraktiv. Anleger sollten
aber in jedem Fall ihre Portfolios auf ihre Risikobereitschaft
abstimmen, um Kurzschlussreaktionen zu vermeiden.
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