Das Bild für
2022 ist geprägt von der Angst vor Stagflation, Chinas
Strategiewechsel, einer weniger expansiven Geldpolitik,
negativen Realzinsen und der politischen Neuausrichtung in
Deutschland. Der Einfluss
der Corona-Pandemie nimmt weiter ab, wird aber
nicht ganz verschwinden. Die Industrienationen und
China haben überwiegend hohe Impfquoten, laufen
aber Gefahr weiterer Infektionswellen. Sollten hier erneute
Shutdowns notwendig sein, dürften diese nur regional und/oder
sehr selektiv vorgenommen werden. Viele Schwellenländer
und v.a. Low-Income-Economies haben hingegen nur sehr
geringe Impfquoten. Dort ist mit medizinischen und
wirtschaftlichen Rückschlägen sowie der Gefahr
weiterer Virusvarianten zu rechnen, die den
bestehenden Impfschutz überspringen und auch in Staaten mit
hohen Impfquoten zu weitergefassten neuen Shutdown-Maßnahmen
führen könnten. Beim BIP-Wachstum
liegt eine differenzierte Ausgangslage vor. Während China und
Europa, v.a. Deutschland Ende 2021 schwächeln, bilden die USA
die globale Konjunkturlokomotive. Die Basisannahme ist, dass
sich Lieferkettenprobleme und Energieengpässe
durch fehlende Vorleistungen und Rohstoffe sowie knappe
Transportkapazitäten im ersten Halbjahr 2022 sukzessive
auflösen. Danach rechnen wir mit einer Fortsetzung
des dynamischen globalen Nach-Corona-Aufschwungs.
Die Wachstumserwartungen liegen global bei 4-6%, für die USA
bei 4-6%, China 5-7%, die Eurozone 3-5% und Deutschland 4-6%.
In den Schwellenländern rechnen wir mit differenzierten und
von individuellen Faktoren abhängigen Wachstumsperspektiven
(zwischen ca. 2-4% in Lateinamerika und 5-7% in Ostasien). Die
Inflationsspitze ist Ende dieses Jahres oder im
ersten Quartal nächsten Jahres überschritten.
Die Einmal- und Basiseffekte laufen aus bzw. lassen nach,
wobei anhaltend erhöhte Inflationsraten
trotzdem wahrscheinlich sind. Ursachen hierfür sind die sich
nur langsam abbauenden Lieferkettenstörungen, anhaltend
erhöhte Energie- und Rohstoffpreise (bedingt durch den
wirtschaftlichen Aufschwung, den weltweit verstärkten Fokus
auf regenerative Energien und dadurch bestimmte, notwendige
Rohstoffe), der Umbau von Lieferketten, der Fokus der Politik
auf höhere Löhne und Mangel an ausreichend qualifizierten
Arbeitskräften sowie staatliche und private
Investitionsoffensiven (u.a. in Klimaneutralität und
Resilienz). Die Unternehmen können die steigenden Kosten
jedoch nur noch teilweise an Endverbraucher weitergeben. Es
ist allerdings keine überbordende inflationäre
Entwicklung zu erwarten. Die Inflationserwartungen
liegen für die USA bei 3-4%, für die Eurozone bei 2-3% und für
Deutschland bei 2,5-3,5%. Beim
Welthandel ist die Erholung vom
krisenbedingten Einbruch (aufgrund von Lieferengpässen)
vorerst gestoppt. Doch wurden die Vorkrisenwachstumsraten
des Welthandelsvolumens nur kurzfristig wieder erreicht.
Protektionismus, der steigende Anteil immaterieller
Wertschöpfung, die Umfokussierung Chinas und der Umbau von
Lieferketten dämpfen. Mit
Blick auf China, treibt die
Biden-Administration die „Allianz gegen China“ voran. China
fokussiert sich auf eine
2-Circle-Strategie (d.h. ein stärkerer
Binnenmarkt und Handel verstärkt im ostasiatischen Raum) und
eigene Interessen (sozialer Friede, Management
von Preisblasen, breiter sozialer Wohlstandszuwachs
anstatt privatwirtschaftlicher Vermögensmaximierung). Bei
zu schwachem Wachstumsmomentum ist eine erneute
fiskalische Stützung wahrscheinlich. Die
Abhängigkeit des Westens gegenüber China (Vorprodukte,
Rohstoffe, US-Staatsanleihe-Holdings …) wird eher
abnehmen, aber weiterhin wesentlich bleiben und eine
totale Eskalation des US-China-Konflikts vermeiden. Die
Politik wird weltweit nach der Coronakrise mit verstärkten
staatlichen Investitionen (digitale und
Gesundheits-Infrastruktur, Digitalisierung, Innovation)
und daraus resultierend weiter steigenden Staatsschulden
agieren. Zudem ist weltweit ein Wechsel zu eher links-
bzw. nachfrageorientierter Politik erkennbar
(mehr Staat und Regulierung, höhere Steuern, mehr
Umverteilung, weniger Markt). In den letzten Jahren
aufgebaute Ungleichgewichte (Einkommen, Vermögen) sollen
nicht weiter steigen. Deutschlands neue Regierung
dürfte hier mitziehen, aber gleichzeitig einen zu
starken Umverteilungskurs und ein Abwürgen
privatwirtschaftlicher Produktionsanreize vermeiden.
In Frankreich finden im Frühjahr Parlaments- und
Präsidentschaftswahlen statt (derzeit hat Macron gute
Chancen auf eine Wiederwahl mangels ausreichend starker
Konkurrenz), in Italien im Frühjahr 2023. Denkbar ist
daher die Möglichkeit einer gemeinsamen
pro-europäischen Reformoffensive im kommenden
Jahr, mit der Tendenz zu höheren
gemeinschaftlichen Ausgaben. Die Auszahlungen des
EU-Wiederaufbaufonds unterstützen dabei und sind
gegebenenfalls ein Druckmittel (bspw. ggü. Polen).
Aufgrund der US-Midterm-Elections Ende 2022 dürfte die Biden-Regierung
Schwierigkeiten haben, weitere große Fiskalprogramme
durchzubekommen. In den Fokus rückt daher wohl
eher die Außenpolitik (insb. China). Bei
den Megatrends bleibt die Digitalisierung
(inkl. KI und Blockchain) maßgebliches Thema und sorgt für
Sonderkonjunkturen in einzelnen Branchen bzw. Unternehmen.
Der Klimawandel gewinnt international
weiteren Stellenwert; hinzu kommen verstärkte staatliche
– und private – Investitionen u.a. in
Infrastruktur. Kapitalmarkterwartungen: Zinsen: Währungen: Rohstoffe: Aktien: Krypto-Assets: Nebenszenarien Chancen: Corona-Fortschritte
(Impfquoten); Nachkrisen-Investitionen/wirtschaftliche
Aufholung; Produktivitätsschub bspw. im Zuge der
Digitalisierung; deutlich nachlassender
Inflationsdruck; Wiederbelebung
transatlantischer Beziehungen (mit Sonderfokus China). Risiken: Corona-Rückschläge
(resistentere Varianten); plötzlicher, noch
stärkerer Inflationsschub; zu langanhaltende
Lieferkettenstörungen; Eskalation
geopolitischer Krisenherde; Fehler der Politik
(angesichts hoher Abhängigkeit von fiskalischen und
monetären Unterstützungen sowie politisch forcierter
Neuausrichtungen); genereller Vertrauensverlust der
Notenbanken (Akzeptanz- und Vertrauenskrise). Aus diesem
Szenario lassen sich die folgenden Kapitalmarktprognosen für
den Jahresultimo 2022 ableiten:
von Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank Donner
& Reuschel
Die Geldpolitik bleibt weiter expansiv, aber mit nachlassender Dynamik.
Die EZB und die Fed laufen der inflationären Entwicklung
hinterher. Die Fed wird das Tapering im ersten
Halbjahr 2022 fortsetzen, die EZB voraussichtlich ab
April damit beginnen. Mit einer Leitzinserhöhung
in den USA und der Anhebung des Einlagenzinssatzes in
Europa ist im dritten Quartal nächsten Jahres zu
rechnen. Ein harter restriktiver Kurs zur
Eindämmung der Inflation ist wegen der bestehenden
Abhängigkeiten von niedrigen Zinsen (Staatsschulden,
Kapitalmärkte) jedoch unwahrscheinlich.
Hamburg/München, 02.11.2021; AM/Research
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