Phänomene in der Natur und an
den Märkten
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„Obstlast“
Es ist Erntezeit. Und wenn
der verzweifelte Ruf der Eltern
erfolgt, doch gefälligst beim
Erleichtern der Obstbäume von
ihren Früchten mitanzupacken,
dann kann sich dem der Sohn kaum
verwehren. So geschehen am
letzten Wochenende:
Nun ist eine solche
Zwetschgenernte normalerweise
keine spektakuläre Sache.
Diesmal aber schon. Denn heuer
ist die Menge der zu pflückenden
Äpfel, Birnen, Pflaumen und
Zwetschgen so gigantisch groß,
wie ich und viele meiner
Gesprächspartner es noch nie
erlebt haben. Während man früher
jeder Zwetschge auf seiner
Leiter hinterhergestiegen ist
und teilweise auch die Zweite
Wahl im Erntekorb landete, ist
es dieses Jahr völlig anders:
Aufgrund der Obstfülle muss man
sich nur mit den tief hängenden
Früchten („low hanging fruits“)
abgeben und die kleinste Macke
am Obst führt sofort zum
Fallenlassen. Und beschwerlich
zu pflückenden Früchte weit oben
im Wipfel lässt man einfach
hängen – was übrigens ein
Problem für die Bäume darstellt,
da viele der Äste unter dem
Gewicht der massiven Obstlast zu
brechen drohen.
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Fülle durch Abstinenz
Natürlich stellen Sie sich
nun die Frage, warum ich Ihnen
von meinem arbeitsreichen
Wochenende und dieser
Fruchtfülle erzähle. Beim
relativ monotonen Pflücken
dieser abenteuerlichen Mengen
sinniert man schon mal darüber
nach, warum die Natur in diesem
Jahr mit dieser herausragenden
Obstmenge aufwartet. Die Gründe
dafür liegen auf der Hand:
Erstens sind die Bedingungen in
diesem Jahr optimal: kein Frost
im Frühjahr und sehr viel
Sonneneinstrahlung. Das
allerdings erklärt die
Superernte nur zum Teil. Der
andere Grund dürfte in den
relativ bescheidenen Ernten der
Vorjahre, insbesondere im Jahr
2017 liegen, als viele Bäume
mehr oder weniger leer blieben.
Vermutlich haben die Bäume in
den letzten Jahren sich so wenig
verausgabt und damit Kräfte
gesammelt, dass sie heuer
wirklich alles geben konnten.
Und nun bekommen wir auch die
Kurve zur Börse:
Denn genau diese Kombination aus
herausragenden Bedingungen und
langer „Abstinenz“ führt auch an
den Märkten oftmals zu einem
schnellen alles niederwälzenden
Schub in eine Richtung. Der
Fachmann spricht hier auch von
einem „Volatility Breakout“. Wir
haben uns mit dem Thema
Volatilität zuletzt in der
Smart-Investor-Druckausgabe
5/2018 ab S. 40 befasst. Das
Phänomen ist in seinen
verschiedenen Ausprägungen stets
präsent, wobei uns aktuell
insbesondere die Möglichkeit
eines abrupten Anstiegs der
Volatilität beschäftigt.
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Die „Fruchtfolge“ des DAX
Aber auch aus einer anderen
Perspektive wird ein Schuh
daraus: Nach inzwischen neun
mehr oder weniger fetten Jahren,
ist der DAX etwas „übererntet“
und hat sich eine
Verschnaufpause verdient. Schon
seit einem Jahr kommt der Index
nicht mehr voran und jetzt steht
auch noch der saisonal
schwierige September auf dem
Spielplan. Wird der in diesem
Jahr seinem Ruf als
schwierigster Börsenmonat des
Jahres gerecht? Ein Anziehen der
Volatilität dürfte in dieser
Situation – wie bereits bei den
Kursrückgängen im Februar – mit
sinkenden Kursen verbunden sein.
Zwingend ist dies jedoch nicht.
Theoretisch könnte die
Volatilität auch mit stark
steigenden Kursen anziehen. Die
Stimmungsindikatoren, als häufig
letzte Zuflucht in einem
ambivalenten Bild, sind derzeit
jedoch ebenfalls nicht
eindeutig. Euphorie ist nicht zu
spüren, harter Pessimismus in
der Breite aber auch nicht.
Natürlich, es gibt Stimmen, die
– wie wir – die Möglichkeit
einer bevorstehenden
Aktienbaisse für eine reale
Option halten, andererseits hat
der von sentix Research
ermittelte „Strategische Bias“
für deutsche Aktien, also die
Wissenskomponente der
sentix-Erhebung, unter
professionellen Marktteilnehmern
zuletzt wieder stark zugelegt,
was auf steigende Kurse
hindeutet. Möglicherweise wird
der September seinem Ruf als
schwierigster Börsenmonat in
diesem Jahr auch zunächst einmal
nur insofern gerecht, als er
sich einfach nicht in die Karten
schauen lässt.
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Dynamisches und Eingepreistes
Vom Grundsatz her sollte
alles, was bereits an
Nachrichten und Meinungen im
Markt diskutiert wird, keine
nennenswerten Auswirkungen mehr
auf die weitere Kursentwicklung
haben. Ausgenommen davon sind
allerdings jene Themen, deren
Auswirkungen so schwer
abschätzbar sind, dass sich die
Marktteilnehmer mit dem
zeitnahen und adäquaten
Einpreisen besonders schwer tun.
Was dem Markt dagegen sehr wohl
eine neue Dynamik verleihen
kann, sind Überraschungen, also
alles, was wir heute noch gar
nicht benennen können.
Dazwischen liegen Ereignisse,
die zwar dem Grunde nach bekannt
sind, deren Ergebnis und
Marktauswirkungen jedoch offen
sind – etwa die
US-Zwischenwahlen im Herbst. Zur
Erzeugung/Verstärkung von
Dynamik kann schließlich die
Kursentwicklung selbst
beitragen. Dabei handelt es
beispielsweise um Kaskaden von
Stopp-Loss- und sehr viel
seltener von Stopp-Buy-Orders:
Eine unlimitierte Verkaufsorder
wird ausgelöst, weil der Kurs
gefallen ist, wodurch der Kurs
weiter unter Druck gerät. Solche
sich selbst verstärkenden
positiven Rückkopplungsschleifen
waren beispielsweise –
allerdings mit komplexeren
Ordertypen – bei den sogenannten
Mini-Crashs im Spiel.
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Zu den Märkten
Auslöser für eine Dynamik dieser Art,
müssen also keine Nachrichten sein. Das
Überschreiten von Chartmarken, die als
bedeutsam angesehen werden, kann bereits
genügen, um Kauf- oder Verkaufslawinen
auszulösen. Aktuell werden im DAX gleich
zwei mögliche negative Umkehrformationen
angeboten: Neben der hier bereits des
Öfteren diskutierten mögliche
Schulter-Kopf-Schulter-Formation (rot),
könnte man mit ebensolcher Berechtigung
einen sogenannten Diamanten (blau)
einzeichnen, aus dessen rechter unterer
Flanke bereits ein erster Ausbruch
erfolgt ist (vgl. Abb.). In der Aussage
sind sich beide Formationen sehr
ähnlich, allerdings sind Diamanten
dieser Größe, wie auch im richtigen
Leben, ziemlich selten. Falsch wäre es
allerdings aus dem Umstand, dass sich im
DAX gleich zwei potenzielle
Umkehrformationen zeigen, zu schließen,
dass eine Umkehr deshalb entsprechend
wahrscheinlicher wäre. Je mehr
Marktteilnehmer durch solche möglichen
Gipfelbildungen ihre Wahrnehmung auf die
Baisse-Perspektive verengen, desto
größer würde nämlich wohl die
Überraschung ausfallen, falls der
Ausbruch dann letztlich doch nach oben
erfolgt. Aufgrund der weiter hohen
Umsätze innerhalb der möglichen
Top-Bildung, die aus unserer Sicht
Eigenschaften einer Distribution
aufweist, halten wir den dynamischen
Ausbruch nach unten jedoch für das
wahrscheinlichere Szenario. Wie wir ein
solches Szenario – zu dem nebenbei
bemerkt auch eine anhaltende
Euro-Schwäche gehört –, in eine konkrete
Strategie umsetzen, lesen Sie in unseren
aktualisierten
Anmerkungen zu den beiden Musterdepots.
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Musterdepot Aktien & Fonds
Im Bereich
„Highlights/Musterdepot“ auf unserer
Homepage erläutern wir heute die
Ideen hinter unserer aktuellen
Anlagestrategie. Sie finden dort auch
noch zwei Hinweise zu Tesla
und MAN, wobei
insbesondere der Hinweis zu MAN zeitkritisch
ist. Sie können sich dort durch
einfaches Blättern einen schnellen
Überblick über die letzten
Wochentransaktionen verschaffen.
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Smart Investor 9/2018:
Titelstory: Bitte
anschnallen! Mit Turbulenzen ist
zu rechnen
Nachhaltige Aktien:
Renditebringer für ein reines
Gewissen
Alternatives Investment:
Mit Uhren gegen den zeitlichen
Wertverfall
Online-Makler:
Wie man Provisionen drastisch
kürzen kann
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Fazit
Und falls Sie sich gefragt haben
sollten, wer von uns beiden zum
Zwetschgenpflücken abkommandiert wurde,
beim Smart Investor erntet der Chef noch
selbst.
Ralph Malisch, Ralf Flierl
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Hinweis
auf mögliche Interessenkonflikte:
Ein mit “*“ gekennzeichnetes
Wertpapier wird zum Zeitpunkt des
Erscheinens dieser Publikation oder
der Smart Investor Printausgabe von
mindestens einem Mitarbeiter der
Redaktion gehalten.
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