Sie haben in Ihrem Lagebericht auch darauf hingewiesen, dass Russland weniger Raketen einsetzt als in den Monaten zuvor, nur 28 pro Angriffswelle statt 100. Gehen Russland die Raketen aus?
Ich denke, es ist ein Hinweis darauf, dass Russland nicht genug Raketen hat und nicht genug produzieren kann. Medwedew hat mal einen Betrieb besucht, wo Mittelstreckenraketen vom Typ Kalibr hergestellt werden. Man konnte auf den Fernsehbildern sehen, dass dort viele Raketenkörper standen, aber keine fertigen Raketen. Ich nehme an, dass ihnen die Elektronik für die Raketen fehlt, vor allem für die Kameraoptik. Dafür hat Russland immer Technologie aus dem Westen verwendet. Wegen der Sanktionen ist die nun nicht mehr verfügbar. Möglicherweise gibt es noch keine Alternativen, denn auch China ist da kein vollständiger Ersatz. Huawei beispielsweise hat sich aus Russland zurückgezogen, um nicht von den USA sanktioniert zu werden.
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Werden die Kampfpanzer aus dem Westen bis Mai in der Ukraine angekommen sein?
Soweit ich weiß, wird das frühestens im Mai oder Juni der Fall sein. Aktuell sehe ich übrigens keinen Mangel an Panzern. Die Ukraine hat im Gebiet Charkiw rund 200 bis 300 russische Panzer erobert. Aus Polen hat die Ukraine 120 Panzer sowjetischer Bauart bekommen. Wo diese Panzer jetzt sind, ist nicht bekannt, aber ich schätze, dass die Ukraine jetzt 400, vielleicht 500 aktive Panzer in Reserve hat. Das ist eigentlich eine gute Reserve. Russland hat rund 200 Panzer im Frontabschnitt bei Swatowe im Nordosten der Region Luhansk, außerdem 100 bis 200 Panzer in der Region Saporischschja. Insofern steht die Ukraine nicht schlecht da, um einen Angriff der Russen abzuwehren. Der ukrainische Generalstabschef Walerij Saluschnyj hat im Dezember dem "Economist" gesagt, dass er 300 Kampfpanzer, 600 bis 700 Schützenpanzer und 500 Haubitzen brauche, um die russischen Truppen auf die Positionen vor dem Einmarsch am 24. Februar zurückzudrängen. Ich vermute, dass sie eine große Panzerdivision aufstellen wollen, um im Sommer in Saporischschja im Süden anzugreifen.
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Sie schreiben in Ihrem jüngsten Lagebericht für die Zeitschrift "Osteuropa", Russland habe die geplante Winteroffensive auf Februar verschieben müssen, "wenn sie denn überhaupt noch stattfindet". Warum haben die Russen bislang keine Winteroffensive gestartet?
Ich glaube schon, dass die Russen im Winter eine neue Offensive starten wollten, aber sie haben ein ähnliches Problem wie die Ukraine: Sie haben nicht genug Munition. Und nicht nur das, es fehlt ihnen auch an Ausrüstung. In einem Depot in Sibirien, in dem anderthalb Millionen Winter-Uniformen lagern sollten, fand sich Anfang Oktober gar nichts mehr. Der gesamte Bestand war gestohlen worden. Das ist typisch dafür, wie die Versorgung und Ausstattung der russischen Armee funktioniert. Ja, es kursieren Zahlen über Tausende Panzer in russischen Beständen. Aber in der Praxis können die meisten davon nicht bewegt werden. In Moskau denkt man zwar, dass das alles repariert und eingesetzt werden kann. Aber so einfach ist das nicht.
https://www.n-tv.de/23892997
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