von Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER
& REUSCHEL
Die Politik der größten internationalen Notenbanken divergiert zusehends. Während die US-Notenbank Fed und die Bank of England die Gefahren anhaltend erhöhter Inflationsraten klar benennen und in ihren jüngsten geldpolitischen Beschlüssen durch einen absehbaren Pfad zur Beendigung der Wertpapierkäufe (Fed) bzw. durch eine Leitzinsanhebung (BoE) adressieren, bleibt die EZB dabei, dass die Preissteigerungsraten nur temporären Charakter haben. Entsprechend wurde weder eine Zinsanpassung noch eine Beendigung der Netto-Wertpapierkäufe im Laufe des Jahres 2022 beschlossen. Lediglich das im Zuge der Pandemie aufgelegte PEPP-Programm wird planmäßig Ende März auslaufen. Allerdings wird im Gegenzug das APP-Programm ab April auf ein Volumen in Höhe von monatlich 40 Mrd. Euro aufgestockt.
Zwar kann die
Notenbank wesentliche derzeit inflationär wirkende Faktoren –
wie bspw. steigende Energiepreise oder zunehmende
Erzeugerpreise aufgrund bestehender Lieferengpässe – nicht
direkt beeinflussen, doch besteht die Gefahr, dass sich die
Inflationserwartungen verfestigen, bevor diese preistreibenden
Faktoren nachlassen. Steigende Inflationserwartungen könnten
über entsprechende vorausschauende Lohn- und Preisanpassungen
eine sich selbst erfüllende Spirale in Gang setzen, zumal die
EZB ihre eigenen Inflationserwartungen für 2022 überraschend
deutlich auf 3,2 Prozent angehoben hat und einen weiteren
Rückgang der Arbeitslosigkeit in der Eurozone erwartet.
Zumindest für Deutschland ist die geldpolitische
Ausrichtung der EZB deutlich zu expansiv. Eine
Inflationsrate in Höhe von 3,5 – 4 Prozent im
Jahresdurchschnitt 2022 ist nicht unwahrscheinlich.
Für die konjunkturellen Erwartungen des kommenden Jahres sind die folgenden Annahmen maßgeblich:
- Der Einfluss der Corona-Pandemie nimmt ab dem Frühjahr ab.
- Die Staus vor Containerhäfen lösen sich im Laufe des ersten Halbjahres weitgehend auf.
- China stabilisiert die Wirtschaft und wächst wieder stärker als im zweiten Halbjahr 2021.
- Der Inflationsdruck nimmt ab.
- Es gibt keine „groben“ Fehler der Geldpolitik, bspw. ein zu langes Zögern vor Implementierung eines weniger expansiven Kurses.
Unter diesen Voraussetzungen wird im kommenden Jahr ein dynamisches globales Wirtschaftswachstum in Höhe von 4,5 Prozent erwartet. Für Deutschland dürfte das Wachstum mit 4,0 Prozent im Gesamtjahr sogar noch besser ausfallen als in 2021, während die US-Volkswirtschaft um etwa 4,5 Prozent zulegen sollte. Schwächer als im Gesamtjahr 2021, aber dynamischer als im dritten und vierten Quartal dürfte das Wirtschaftswachstum in China ausfallen mit erwarteten gut 4,0 Prozent.
Für die Kapitalmärkte wird der entscheidende Faktor in 2022 die Zinsentwicklung in den USA und der Eurozone sein. In beiden Regionen haben sich zuletzt stark steigende Inflationsraten und nahe der Tiefstniveaus verharrende Zinsen ungewöhnlich deutlich voneinander abgekoppelt. Es ist davon auszugehen, dass die Inflationsraten im kommenden Jahr zwar sinken, aber auf erhöhten Niveaus verharren. Entsprechend dürften Zinsen einem Steigerungsdruck unterliegen, der aber in der Eurozone durch die Notenbankinterventionen gedeckelt wird. Damit bleiben – trotz tendenziell steigender Nominalzinsen – die realen Renditen für Staatsanleihen tief negativ. Das unterstützt die Nachfrage nach realen Anlageklassen, wie Aktien und Immobilien und weiteren Alternativen wie Krypto-Anlagen. Vor allem Gold könnte im kommenden Jahr deutlich zulegen. Der Euro dürfte bis Mitte 2022 schwach bleiben. Im zweiten Halbjahr erwarten wir dann eine festere Tendenz der Gemeinschaftswährung, weil sich Zinserhöhungserwartungen in der Eurozone konkretisieren sollten.
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