Papst Franziskus bleibt sich in seiner jüngsten Enzyklika treu. Der Liberalismus stehe im Dienst der Mächtigen, ebne Spekulantentum den Weg und opfere die Schwachen seinem Effizienzparadigma. Sein „radikaler Individualismus ist das am schwersten zu besiegende Virus“. Sobald es um Liberalismus oder Marktwirtschaft geht, bewegt sich der Papst gefährlich nah an dem von ihm beklagten „Brauch, den Gegner schnell zu diskreditieren … anstatt sich einem offenen und respektvollen Dialog zu stellen“. Auch die Wiederbelegung von Nullsummenspiel-Argumenten trägt nicht zum friedvollen Miteinander bei: „Wenn jemand nicht das Notwendige zu einem Leben in Würde hat, liegt das daran, dass ein anderer sich dessen bemächtigt hat.“
"Das päpstliche Schreiben pflegt Stereotype und bedient den Zeitgeist."
Katholiken sollten eigentlich Verständnis haben für Weltanschauungen, die missbraucht werden, um Handlungen zu rechtfertigen, die bisweilen deren Grundfesten diametral entgegenstehen. Die Gewalt- und Machtauswüchse, die im Namen der Kirche verübt wurden und werden, haben mit der Botschaft, die sie verkündet, nichts zu tun. Und ebenso sind die Ego-Trips und Exzesse von Marktteilnehmern nicht Ergebnis liberaler Philosophie. Sie sind vielmehr Ausdruck der, wie der Papst schreibt, „menschlichen Zerbrechlichkeit“, mit der auch die Kirche ihre liebe Not hat.
Der Gastbeitrag erschien am 15.10.2020 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der Text kann unter https://bit.ly/3dvVG6Q gelesen werden.
powered by stock-world.de