Die Druckerpresse wird wieder
angeschmissen |
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Gleichwertiges Spielfeld
Mario Draghi verspricht und die
Börsen folgen. So hat es sich
gestern zumindest wieder einmal
zugetragen. Falls sich der
wirtschaftliche Ausblick in der
Eurozone nicht verbessern sollte
und die Inflation nicht anzieht,
wird laut Draghi eine weitere
Lockerung der Geldpolitik
notwendig sein. Lockerung wovon,
könnte man als unbedarfter
Beobachter nun fragen?
Schließlich setzt die
europäische Zentralbank zuletzt
Leitzinsen im Negativbereich und
10-jährige Bundesanleihen
markierten mit -0,3% ein
absolutes Allzeittief. Draghi
stellt jedoch weitere
Anleihekäufe und sogar weitere
Zinssenkungen (!) in Aussicht.
Die Hoffnung auf diesen neuen
Stimulus löste an den
europäischen Börsen ein
Kursfeuerwerk aus. Und brachte
der EZB unmittelbar den
Twitter-Zorn von US-Präsident
Trum ein: Die Europäer würden
damit ihre Währung manipulieren
und den USA massiv schaden. Zwar
offeriert ein Blick auf die
Börsenentwicklung der
vergangenen Jahre etwas anderes,
auch in den USA dürfte jedoch
die Kehrwende hin zur erneut
expansiven Geldpolitik ebenfalls
kurz bevor stehen.
Indirekt drohte Trump Fed-Chef
Powell vorgestern sogar mit
Abberufung, abhängig davon, wie
sich Powell verhalte. Er wolle
von der Notenbank ein
gleichwertiges Spielfeld
bereitgestellt bekommen, wie es
die Europäer hätten. Auch ohne
Intervention von Trump hatte
Powell zuletzt angekündigt, so
zu handeln, dass der
Handelskrieg die Wirtschaft
nicht abwürge. Die Fed-Auguren
streiten nun schon länger, ob
dies bereits auf der heutigen
Sitzung zu einer ersten
Zinssenkung führen könnte. Für
den bekannten Journalisten Jim
Grant von Grant’s Interest Rate
Observer ist dieser Zinsschritt
bereits eine ausgemachte Sache.
Die Fed würde vorauseilend die
Zinsen senken, da dies an den
Märkten bereits die
Konsens-Meinung ist. Die Frage
sei aber, was Geldpolitik
überhaupt gegen etwas so reales
wie einen zurückgehenden Handel
ausrichten könne. Für das
Gesamtjahr erwartet er mehrere
Zinsreduktionen. Auf beiden
Seiten des Atlantiks dürfte klar
sein, dass die Geldschleusen
wieder weit geöffnet werden.
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Konzern-Coin
Zweifel an der Solidität der
Geldpolitik sind angesichts
dieser Niedrigzins- und
Gelddruckexzesse also allemal
angebracht. Kein Wunder, dass
sich viele Anleger auch nach
Alternativen zu den
Fiat-Währungen umsehen. Keine
Option dürfte dafür der gestern
von Facebook* vorgestellte
Krypto-Coin Libra sein, der
zumindest unter Krypto-Fans für
neue Euphorie sorgte.
Schließlich könnte die
Facebook-Kryptowährung der
Türöffner zur großen Finanzwelt
sein, sollte sich die neue
„Währung“ tatsächlich
durchsetzen. Die Chancen dafür
stehen gar nicht mal schlecht.
Immerhin besitzt Facebook ca.
2,4 Mrd. Nutzer in seinen
diversen Messengern. Einfache
Bedienung und eine Einbindung
diverser namhafter Partner wie
Visa, Mastercard oder Paypal
versprechen Seriosität und eine
breite Akzeptanz. Um eine echte
Währung dürfte es sich beim
Libra – zumindest basierend auf
den heutigen Fakten – jedoch
kaum handeln.
Vielmehr dürfte es um ein groß
angelegtes Projekt zur
Vereinfachung von Zahlungen
handeln, das mit ein wenig
„Krypto“ und
„Blockchain“-Phantasie
angereichert wird. Der Libra
soll ein sogenannter Stablecoin
werden – Kursschwankungen zu
Euro oder Dollar dürften damit
abgestellt werden. Analog zu
WeChat in China könnte die neue
Zahlfunktion einen größeren Teil
des Zahlungsverkehrs an sich
reißen. Größte Konkurrenz
dürften allerdings nicht Bitcoin
& Co sondern Paypal und
andere Zahlungsdienste sein. Am
Ende wird es vor allem auf eines
ankommen: Welche Lösung setzt
sich tatsächlich am Markt durch.
Und während im Bitcoin auch
heute noch lediglich 1,5% der
Transaktionen zur Abwicklung
tatsächlicher Zahlungen getätigt
werden – der Rest ist
überwiegend spekulativer Tausch
von Euro und Dollars in Bitcoin
und zurück – könnte der Libra
genau dort ansetzen. So kritisch
viele Krypto-Fans den
Konzern-Coin aus dem Hause
Facebook sehen, am Ende könnte
er die Oberhand gewinnen.
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Eine „angemessene Reaktion“
Nicht selten kommt es an der
Börse exakt anders als man
denkt. So auch in der letzten
Woche. Am Wochenende zuvor hatte
US-Präsident-Trump die von ihm
so geliebte Zoll-Waffe auch
gegen den Nachbarn Mexiko
angewandt – nicht etwa aus
wirtschaftlichen Gründen,
sondern um den Nachbarn zu einer
strikteren Kontrolle seiner
Grenze zu den USA zu animieren.
Den Börsen schmeckte diese
Nachricht überhaupt nicht, zu
unberechenbar erschien die
Trump‘sche Verhandlungstaktik.
Die große Überraschung: In den
letzten Tagen setzten die Märkte
zu einer kleinen Aufholjagd an.
Eine Rally, die nüchtern
betrachtet eigentlich keinen
Sinn ergab. Der wesentliche
Grund dafür dürfte weniger die
Einigung mit Mexiko, sondern die
Äußerungen von Fed-Chef Powell
sein, der erklärte, eine
„angemessene Reaktion“ auf den
Handelskrieg zwischen den USA
und China finden zu wollen. Für
die Börsianer ist damit klar,
dass die Zeiten einer
restriktiven Geldpolitik
endgültig vorbei sein dürften.
An den Terminmärkten werden
mittlerweile die Chancen auf
eine erste Zinssenkung im Juli
bei knapp 70% gesehen. Die
Stabilität der Börsen dürfte
also zu einem großen Teil vom
sogenannten „Powell-Put“
abhängen. Der Fed-Chef machte
schließlich ziemlich klar, dass
er die Börsen nicht hängen
lassen würde.
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Zu den Märkten
Als wir in der Vorwoche an
dieser Stelle den Ausbruch aus
der Abwärtsflagge (vgl. Abb.,
rote Linien) kommentierten,
bestand noch die Möglichkeit
eines erneuten raschen Absinkens
in diese Flagge (= Fehlsignal).
Diese Gefahr ist nun aus
zweierlei Gründen vom Tisch. Zum
einen kroch der Kurs nach dem
Durchbruch lediglich am oberen
Flaggenrand entlang, was
durchaus als Stärke beim
Verdauen des vorangegangenen
Kursschubs bewertet werden kann.
Zum anderen löste sich der Kurs
gestern mit einem weiteren
Kursschub kraftvoll von dieser
Flagge nach oben. Das
Zusammenspiel beider Kursschübe
– Kursschub, Konsolidierung,
Kursschub – macht ein bloßes
Short-Covering unwahrscheinlich.
Dieses ist normalerweise von
einer äußerst starken Dynamik am
Beginn gekennzeichnet, die dann
rasch nachlässt. Eine mehrtägige
Konsolidierung kommt in diesen
Rallys aufgrund des
Handlungsdrucks der
Marktteilnehmer dagegen eher
nicht vor.
Als Folge kratzt der DAX nun
sogar bereits wieder an seinem
blauen Aufwärtskanal. Dieser ist
allerdings so steil, dass es
keine Voraussetzung für eine
Fortsetzung der Aufwärtsbewegung
wäre, dass genau dieser Kanal
zurückerobert wird. Im Ergebnis
könnte es also erst einmal auf
eine Verflachung bei weiter
positivem Grundton hinauslaufen.
Dies entspräche der
charttechnischen
Standarderwartung. Allerdings
steht der Markt nun auch kurz
vor der bereits in der Vorwoche
thematisierten Widerstandslinie,
die aus dem 2014er Allzeithoch
resultiert und den DAX in der
Vergangenheit schon mehrfach
ausbremste (vgl. Bild im Bild).
Wir müssen also davon ausgehen,
dass diese Marke bei
charttechnisch orientierten
Marktteilnehmern Beachtung
findet. Input, um diese Marke
entweder nach oben zu
durchbrechen, oder erneut daran
zu scheitern, dürfte es in den
nächsten Tagen und Wochen
reichlich geben. Bei dem ab 28.
Juni anstehenden G20-Gipfel wird
sich das Verhältnis zwischen
China und den USA entweder
weiter verdüstern oder aber
aufhellen. Auch das Säbelrasseln
zwischen den USA und dem Iran
könnte jederzeit bis in einen
Militärschlag eskalieren, oder
sich aber erneut entspannen.
Insbesondere die jeweils
zweitgenannte, optimistischere
Option ist in den Medien derzeit
unterrepräsentiert und könnte
von daher das eigentliche
Überraschungspotenzial in der
saisonal eigentlich anstehenden
Saure-Gurken-Zeit liefern. Das
dürfte weniger daran liegen,
dass die optimistische Variante
in beiden Konflikten so viel
unwahrscheinlicher wäre als die
pessimistische, sondern eher
damit zu tun haben, dass Medien
von der Sensation leben und von
daher nur allzu gerne
Katastrophenszenarien zeichnen,
die so meist nicht eintreten.
Zudem stochern sie buchstäblich
im Nebel, denn die
Konfliktparteien nutzen die
Medien mit Sicherheit nicht, um
die Menschen zu informieren,
sondern, um das zu
kommunizieren, was sie im Rahmen
ihrer Strategie kommunizieren
wollen. Erinnert sei an die Ende
2017 medial massiv eskalierende
USA-Nordkorea-Krise, über die
ein halbes Jahr später erst
einmal keiner mehr sprach. Nicht
zuletzt ist es schwer
vorstellbar, dass Börsianer von
etwas überrascht und damit zu
Transaktionen motiviert werden,
das bereits ausführlich auf den
Titelseiten des Boulevards
durchgekaut wurde.
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Musterdepot Aktien &
Fonds
Im Bereich „Highlights/Musterdepot“
führen wir heute eine Rochade im
Edelmetallsektor durch und
trennen uns von unserer
DAX-Absicherung. Sie können sich
dort durch einfaches Blättern
einen schnellen Überblick über
die Transaktionen der letzten
Wochen verschaffen.
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Smart Investor 6/2019:
Titelstory: Eigentum –
Gut für alle!
Healthcare: Gesundheit
in kleinen Dosen
Beteiligungsgesellschaften: Tops,
Flops und das gesunde Mittelmaß
SoftBank Group: Zwischen
Genie und Wahnsinn |
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Fazit
Die EZB schmeißt die Druckerpresse an
und Trump fordert von der Fed ein
ebenbürtiges geldpolitisches Spielfeld –
die Geldschleusen dürften damit so weit
offen sein wie schon lange nicht mehr.
Christoph Karl, Ralph Malisch
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