Nein, ich will Ihnen hier keinen schwarzen Schimmel verkaufen,
vielmehr habe ich einen augenscheinlichen Widerspruch in den
Zahlen von Flatex entdeckt. Montag Abend (28.3.) hat Flatex die
endgültigen Zahlen zum Geschäftsjahr 2021 veröffentlicht. Unterm
Strich waren sie schon bekannt, doch einige Finanzpublikationen
haben in den Details ein Haar in der Suppe gefunden: Die
Personalkosten haben sich mehr als verdoppelt. In den meisten
Veröffentlichungen wird der Gewinn nach Sondereffekten (Adjusted
EBITDA) berichtet und dieser weist ein exorbitantes Wachstum von
55% aus. Das sieht vor dem Hintergrund des Umsatzwachstums von 60%
ganz verträglich aus.
Als Sondereffekt wird von Flatex eine Rückstellung für die
variable Vergütung des Managements betrachtet (+59 Mio. EUR),
sowie Marketing und Werbekosten (+22 Mio. EUR). Ohne diese
Sondereffekte beträgt das Wachstum im Gewinn (EBITDA) "nur" 14%.
Daraus leitet der unter Zeitdruck berichtende Finanzjournalist
schnell ab, dass sich Flatex das Wachstum teuer erkauft und
schnell ist man bei der Schlussfolgerung, dass hier ein Geschäft
aufgebaut wird, das langfristig gar nicht profitabel wirtschaften
kann.
Warum also weist Flatex so hohe Sondereffekte aus?
Schauen wir uns das Ganze mal näher an.
Die variablen Personalkosten wurden 2020 unter dem Begriff Stock
Appreciation Rights (SARs) eingeführt. In Abhängigkeit von der
Aktienkursentwicklung sowie vom Gewinn je Aktie, wird dem
Management frühestens nach drei Jahren, spätestens nach sechs
Jahren eine Barvergütung ausgeschüttet. Je höher Aktienkurs und
Gewinn, desto höher die Ausschüttung. Für diese Verpflichtung
wurde in der nun vorliegenden Bilanz eine ergebniswirksame
Rückstellung in Höhe von 59 Mio. Euro gebildet.
Klingt auf den ersten Blick ziemlich happig, das gebe ich zu. Doch
die Höhe der Vergütung ist erfolgsabhängig und wurde im Rahmen der
Vertragsverlängerung der beiden Vorstände ausgearbeitet. So ein
Vorstandsvertrag läuft in der Regel über 5 Jahre und ich gehe mal
davon aus, dass daher nicht jedes Jahr neue variable Vergütungen
ausgearbeitet werden.
Da sich die Aktie seit der Ausgabe dieser SARs von damals
splitbereinigt etwa 8 Euro mehr als verdoppelt hat, war die
erforderliche Rückstellung sehr hoch. Bei einem Aktienkursanstieg
von 8 auf 18 Euro beispielsweise, also um 10 Euro, erhöht sich die
variable Vergütung um die Hälfte des Kursanstiegs, also um 5 Euro.
Insgesamt wird ein SARs dann also 22,5 + 5 = 27,50 Euro wert sein, sofern der Aktienkurs auf dem aktuellen Niveau bleibt. Per Ende 2021 wurde seitens Flatex ein fairer Wert von 20 Euro angenommen. Insgesamt kann Flatex 4 Mio. SARs an Mitarbeiter ausgeben. Bislang wurden knapp 3 Mio. SARs ausgegeben. Der Wert, der für diese SARs zurückgestellt wurde, entspricht 4 Mio. x 20 EUR = 80 Mio. Euro. Tatsächlich wurden 59 Mio. Euro zurückgestellt. Da der Betrag frühestens 2023 fällig wird, baut Flatex die Rückstellung sukzessive auf - wenngleich der Löwenanteil bereits jetzt zurückgestellt wurde.
Ich hatte am Freitag die Möglichkeit, über das Thema mit CFO Muhamad Chahrour zu sprechen.
Er hat bestätigt, dass dieses Programm im Rahmen der
Vertragsverlängerung ausgearbeitet wurde. Das Programm begünstigt
jedoch nicht nur den Vorstand, sondern insgesamt rund 200
Mitarbeiter von Flatex. Wenn wir also die Summe auf fünf Jahre und
200 Köpfe verteilen, dürfte der deutsche Neidfaktor ein wenig
beschwichtigt werden, oder? Selbst wenn der Vorstand naturgemäß
ein größeres Stück des Kuchens (meinen Infos zufolge nicht ganz
ein Drittel) bekommt.
Sollte sich der Aktienkurs in diesem Jahr erneut verdoppeln, was
ich für nicht ausgeschlossen halte, wird die dann erforderliche
Rückstellung jedoch nur unterproportional ansteigen, wie Sie der
oben stehenden Rechnung entnehmen können: Der Gewinn ist bereits
ein angenommener Zukunftswert und dürfte sich nicht so stark
ändern. Und wenn doch, dann wäre es nur fair, das Management an
einem solchen Erfolg zu beteiligen.
Die Marketingaufwendungen haben sich auf 22 Mio. Euro nahezu
verdoppelt, hauptsächlich weil DeGiro mit einem eigenen
Marketingbudget in die Bilanz eingeht, sowie aufgrund des
Sponsoring-Vertrags mit dem Bundesligaverein Borussia
Mönchengladbach. Das sind jetzt in meinen Augen nicht unbedingt
einmalige Kosten, aber Flatex sieht diese Kosten im direkten
Zusammenhang mit dem Wachstum, also der Neukundenakquise. Sollten
diese Kosten eingespart werden, würde das Geschäft nicht
wegfallen, sondern auf dem dann erreichten hohen Niveau
verbleiben.
Grundsätzlich ist eine Verdopplung der Marketingkosten bei einem
Kundenwachstum von "nur" 55% nicht gerade vertrauenserweckend,
doch ich gehe davon aus, dass im Rahmen der
Unternehmenszusammenführung von DeGiro und Flatex diese hohen
Kosten künftig deutlich schlanker gestaltet werden können.
Ich habe Flatex als Wachstumsaktie in unserem Portfolio, weil das
Unternehmen sowohl die Rule of 40 erfüllt (Umsatzwachstum +
EBITDA-Marge > 40): Für Flatex ergibt sich aktuell ein Wert von
62. Aber auch meine anderen Kriterien für ein Wachstumsunternehmen
werden erfüllt: Sowohl das jährliche Umsatzwachstum als auch das
Gewinnwachstum der kommenden 4 Jahre liegen über 15%, eie
PEG-Quote ist kleiner als 2 und das Wachstum beschleunigt sich
aktuell gegenüber dem Vorjahr. Und ich habe für diese
Betrachtungen das EBITDA und nicht das adjustierte berücksichtigt.
Wer ein Wachstumsunternehmen mit einer Bilanzanalyse untersucht,
die für etablierte Dividendenunternehmen angemessen ist, wird die
Wachstumsaussichten von Flatex nicht verstehen. Ich bleibe bei
meiner Einschätzung, dass Flatex viel höher notieren müsste, wenn
Anleger diese Sondereffekte nicht als rotes Tuch betrachten,
sondern näher untersuchen.
"Flatex macht Belegschaft reich", titelt ein Finanzblog. Wenn das
Management am Erfolg partizipieren darf und dann erfolgreich ist,
dann ist das so in Ordnung. Die Angst, dass die Personalkosten den
Gewinn auch in der Zukunft auffressen könnten, ist unbegründet.
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