Ich habe soeben ein Heibel-Ticker PLUS Update zu Flatex geschrieben:
"Der Markt hat immer Recht", lautet ein beliebtes Sprichwort. Ich
habe zu viel gesehen und weiß daher, dass "der Markt" - wer auch
immer das sein soll - auch mal falsch liegt. Ziemlich oft sogar.
Ich habe für Sie am Beispiel von Flatex ausführlich aufgearbeitet,
wie so etwas passieren kann.
Vielleicht ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass die Aktie von
Flatex seit dem vergangenen Herbst zwischen 16 und 22 Euro
pendelt. Es gibt einen technischen Grund dafür, warum die Aktie
weder nach oben, noch nach unten ausbricht. Das ist zwar nicht
ganz einfach, aber wir schauen uns die Situation mal Schritt für
Schritt an, dann sollte es verständlich sein.
Durch die Übernahme von DeGiro in der zweiten Jahreshälfte 2020
wurden unter anderem ein DeGiro-Großaktionär zu einem
Flatex-Großaktionär. Im rahmen einer solchen Transaktion werden
die Aktien von Großaktionären in der Regel mit einer Sperrfrist
versehen, der Großaktionär kann für eine bestimmte Zeit
(vielleicht ein oder drei Jahre) seine Aktien nicht verkaufen.
Nicht zufällig sind seither 8,55% der ausstehenden Flatex-Aktien
mit einem sogenannten „Collar“ (Bandbreite) abgesichert.
COLLAR STRUKTUR
„Abgesichert“ heißt in diesem Fall, dass ein holländischer
DeGiro-Aktionär, der nun plötzlich deutsche Flatex-Aktien im Depot
hat, seine neue Position nach oben und unten absichert. Nach unten
durch den Kauf eines Put-Scheines mit einem bestimmten
Ausführungskurs. Sagen wir mal, Flatex pendelt so um die 20 Euro.
Da möchte der holländische Aktionär seine Position vielleicht bei
16 Euro absichern. Er kauft also einen Put mit einem Strike-Preis
von 16 Euro. Sollte der Kurs von Flatex unter 16 Euro fallen, hat
der holländische Aktionär die Möglichkeit, seine Position zu 16
Euro zu verkaufen.
Also egal wie tief die Aktie fallen sollte, er wird sie immer zu
16 Euro los.
Sollte die Aktien nicht unter 16 Euro fallen, verfällt der
Put-Schein. Der holländische Aktionär bleibt auf den Kosten, die
er für den Put bezahlt hat, sitzen. Je nach Laufzeit sind das bei
einem Jahr bspw. rund 20 Cent je Aktie.
Institutionelle Anleger oder Großaktionäre mögen solche Kosten
nicht und versuchen, diese Kosten anderswo wieder reinzuholen.
Beispielsweise durch den Verkauf eines Calls auf die gleiche
Position. Wenn ein Call mit ähnlicher Laufzeit und einem
Ausführungskurs von 24 Euro verkauft wird, kostet das ebenfalls
rund 20 Cents je Aktie. Bei diesem Geschäft bekommt der
holländische Großaktionär die Call-Kosten, da er der Verkäufer
ist.
SINN DER COLLAR STRUKTUR
Sie werden sich nun fragen, warum ein Großaktionär solche
Strukturen aufbaut. Dieser Punkt war auch mir lange Zeit nicht
klar. Die Antwort, die mir CFO Mo Chahrour gab, ist so einfach wie
einleuchtend: Die Aktienposition kann zu 16 Euro je Aktie beliehen
werden, wenn eine solche Collar-Struktur besteht. Dank dieser Put
und Call Struktur ist dem Großaktionär ja eine Einnahme in Höhe
von 16 Euro je Aktie gesichert. Also kann er seine Aktienposition
für einen Kredit, bspw. einen Aktienkredit, in Höhe von 16 Euro je
Aktie verwenden.
Ohne die Collar-Struktur dürfen Aktien nur zu 50% beliehen werden.
Für den Großaktionär ist das ein täglich wechselnder Wert, der
sich entsprechend den Kursschwankungen der Flatex-Aktie bewegt.
Sowas bringt Unruhe in ein aktiv gemanagtes Portfolio, das durch
Aktienkredite gehebelt ist.
GEGENPOSITION DER BANK
Woher weiß ich eigentlich, dass 8,55% der Flatex-Aktien mit einer
solchen Collar-Struktur versehen sind? Nun, das hat sich
herumgesprochen. Den Beweis liefert eine Meldung von Morgan
Stanley vom 10. März. Morgan Stanley ist offensichtlich die Bank,
die dem Großaktionär diesen Collar ermöglicht. Morgan Stanley
bildet die entsprechenden Gegenpositionen.
Da bei diesem Geschäft die einschlägigen Meldeschwellen
überschritten wurden, veröffentlicht Morgan Stanley seine
entsprechenden Gegenpositionen. Zuletzt am 10.3., siehe hier:
http://irpages2.eqs.com/websites/newsfeed/German/99/detail-page.html?newsID=2212791&companyToken=5700e431-556c-461f-929a-6264211ada76
Dort steht unter Punkt 7.b2, dass Morgan Stanley für 8,55% der
Flatex-Stimmrechte Call-Optionen sowie 8,55% Put-Optionen hält.
Unter Punkt 10 wird dazu erläutert, dass es sich um eine
„Collar-Transaktion“ handelt.
Die Positionen wurden nicht erst im März aufgebaut, es gibt eine
Reihe älterer Meldungen. Die hier verlinkte Meldung gibt nur den
aktuellen Stand wider.
DELTAHEDGING
Wenn Morgan Stanley also die Gegenposition für den Collar des
Großaktionärs einnimmt, dann werden die Calls gekauft und die Puts
verkauft. Nun hat Morgan Stanley dem Großaktionär also ermöglicht,
seinen Verlust auf 4 Euro je Aktie zu begrenzen, gleichzeitig ist
der Gewinn aber auch bei 4 Euro je Aktie gedeckelt. Morgan Stanley
möchte wird nun für die Dauer dieser Collar-Struktur möglichst
keine Verluste einzufahren. Man nennt das Delta-Hedging. Jede
Kursbewegung, die stattfindet, führt zu Bewertungsänderungen.
Vielleicht schafft es Morgan Stanley sogar, durch Eigenhandel
einen kleinen Gewinn zu erzielen.
Jetzt müssen Sie aufpassen, dass sich keine Knoten in Ihrem Kopf
bilden.
Um die folgenden Überlegungen zu verstehen, müssen wir eine
Annahme machen: Die 8,55% der Ausstehenden Flatex-Aktien lassen
sich zu einem Preis von 16 Euro wesentlich leichter umplatzierten,
als zu einem Preis von 24 Euro. Folglich wird sich Morgan Stanley
wesentlich stärker absichern, wenn der Kurs in Richtung 24 Euro
läuft, und diese Absicherung wieder verringern, wenn die Aktie
Richtung 16 Euro fällt.
Wenn die Aktie nun in Richtung 24 Euro steigt, dann läuft der Call
Gefahr, seinen Strike-Preis zu erreichen. Bei 24 Euro würde der
Call fällig, den der Großaktionär von Flatex an Morgan Stanley
verkauft hat. Morgan Stanley kann dann, wenn der Kurs über dem
Strike von 24 Euro liegt, zu 24 Euro Aktien kaufen. Es handelt
sich um eine große Menge von Aktien, immerhin betrifft es 8,55%
der Aktien von Flatex. Zu 24 Euro entspricht das einem Wert von
über 200 Mio. Euro.
Morgan Stanley wird bereits im Vorfeld beginnen, Aktien zu
verkaufen. Das sind dann aus Sicht von Morgan Stanley
Leerverkäufe, weil Morgan Stanley die Aktie ja noch gar nicht hat.
Der Großaktionär hat die Aktie und er hat im Rahmen seiner
Collar-Struktur Morgan Stanley die Erlaubnis erteilt, sich seine
Aktien für Leerverkäufe auszuleihen. Je näher der Kurs an die 24
Euro heran läuft, desto mehr Aktien wird Morgen Stanley
leerverkaufen. Irgendwann sind das so viele Aktien, die
leerverkauft werden, dass der durch die Leerverkäufe erzeugte
Verkaufsdruck ein weiteres Ansteigen aus Sicht von Morgan Stanley
möglichst verhindert.
Im Umkehrschluss würde der Put beim Erreichen der 16 Euro fällig.
Der Großaktionär hat den Put von Morgan Stanley gekauft und darf
somit seine Aktien zum Kurs von 16 Euro an Morgan Stanley
verkaufen, sofern der Kurs darunter fällt.
Morgan Stanley würde auch in diesem Fall mit einem Schlag an eine
große Menge von Aktien kommen (8,55% aller ausstehenden
Flatex-Aktien). Gemäß unserer oben formulierten Annahme, dass die
Aktien zu 16 Euro wesentlich leichter weiterzuverkaufen sind, als
zu 24 Euro, wird Morgan Stanley seine Leerposition, die im Rahmen
des Anstiegs in Richtung 24 Euro aufgebaut wurde, wieder auflösen.
Es entsteht ein Tradinggewinn, den Morgan Stanley vereinnahmen
kann. Gleichzeitig führt die Nachfrage, die durch das Eindecken
der Leerposition erzeugt wird, dazu, dass der Kurs gestützt wird
und möglichst nicht unter 16 Euro rutscht.
Wir haben also eine technische Begrenzung der Aktie in der
festgelegten Bandbreite.
WAS WIR WISSEN
Soweit die Theorie. Wir wissen also, dass es eine solche
Collar-Struktur gibt. Wir wissen auch, dass diese Struktur eine
Laufzeit bis 23. September 22 hat. Das steht in der oben
verlinkten Meldung über die Calls und Puts von Morgan Stanley.
Wir wissen jedoch nicht, wie der Collar aussieht: Wurden die
Kursmarken 16 und 24 Euro verwendet? Oder vielleicht 10 und 30
Euro? Oder 18 und 22 Euro? Ich weiß es nicht. Zum Zeitpunkt der
ersten Meldung zu diesem Thema notierte die Aktie bei rund 20
Euro, daher gehe ich von einem Symmetrischen Collar um diesen Kurs
aus.
Wir wissen auch nicht, ob Morgan Stanley irgendwann genügend
Aktien leerverkauft hat, also die gesamten 8,55% der ausstehenden
Aktien, und dann beim nächsten Lauf der Aktie in Richtung der
oberen Marke nicht mehr aktiv wird. Dann könnte die Aktie nach
oben ausbrechen.
FAZIT
So, das war jetzt ein bisschen komplex und ich hoffe, Sie haben
daraus mitgenommen, dass es durchaus manchmal technische Gründe
dafür gibt, warum eine Aktie nicht „fair“ bewertet ist. Ich bin
der Ansicht, dass eine faire Bewertung deutlich höher liegen wird.
Es gibt Trader, die über diese Hintergründe bescheid wissen und
die Bandbreite für eigene Trades nutzen. Das führt dann zu einer
weiteren Ebene der Komplexität, die ich hier jetzt nicht mehr
besprechen möchte. Doch ich habe mir angeschaut, wer derzeit die
Aktie von Flatex leerverkauft. Unter
https://shortsell.nl/short/flatexDEGIRO ist zu sehen, dass die
ausschließlich Hedgefonds sind, die auch technische
Marktsituationen spekulieren. Es sind keine Hedgefonds dabei, die
Leerpositionen auf Überzeugung gegen das Geschäftsmodell eingehen.
Aber natürlich gibt es Anleger, die den fairen Wert für Flatex
deutlich tiefer sehen.
Für uns bedeutet diese technische Gegebenheit, dass wir - sofern
unsere Überzeugung für das Geschäftsmodell von Flatex keine Risse
bekommt - vielleicht ein wenig länger warten müssen, bis sich die
Aktie in Richtung unseres fairen Kursniveaus bewegt. Das muss
nicht unbedingt bis September dauern, vielleicht ist Morgan
Stanley schon viel früher ausreichend Short positioniert und lässt
den Kurs dann nach oben „frei“ :-)
Weitere Updates zu Flatex und weiteren interessanten Aktien gibt
es regelmäßig im Heibel-Ticker Börsenbrief.
powered by stock-world.de